Omar Sharif ist 83-jährig gestorben | NZZ (2024)

Der Schauspieler Omar Sharif ist am Freitag im Alter von 83 Jahren in einem Krankenhaus in Kairo einem Herzinfarkt erlegen. Als Nebendarsteller in «Lawrence of Arabia» war er für einen Oscar nominiert worden, Weltruhm erlangte er mit «Doktor Schiwago».

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Keinem anderen Darsteller hatte Hollywood einen vergleichbaren Einstieg ins Weltkino offeriert: Hundertfünfzig Sekunden dauert die Szene in David Leans «Lawrence of Arabia», in der Omar Sharif in der Rolle des Sherif Ali in gerader Linie vom glühenden Horizont auf Lawrence und dessen Beduinenführer zureitet. Erst nur ein schwarzer Punkt in der sengenden Wüste, kann man langsam – eine Vision, die zur Wirklichkeit wird – seine Konturen und selbst seine Züge erkennen. Kaum angekommen, erschiesst Ali den Beduinen, weil dieser Wasser aus einem ihm verbotenen Brunnen geschöpft hat – später im Film wird sich das moralische Urteil nuancieren und Lawrence, als er im Krieg gegen die türkischen Truppen ein Massaker anrichtet, Alis Abscheu provozieren.

Schillernde Ambivalenz

Für Alis Rolle war zunächst Horst Buchholz vorgesehen; als sich dieser für eine Teilnahme in Billy Wilders gleichzeitig gedrehtem «One Two Three» entschieden hatte, wurde Omar Sharif gecastet. Sharif zeigte sich nicht nur dem eingangs aufgebauten Spannungsbogen gewachsen – er bot mehr als das: Seine Figur, die in den ersten Versionen des Scripts nur am Rande des Handlungsstrangs in Erscheinung treten sollte, zeichnete er mit einer derart schillernden Ambivalenz, dass Alis Beziehung zu Lawrence dadurch eine ungesehene psychologische Schärfe erhielt.

Sharif, der bürgerlich Michel Chalhoub hiess und am 10. April 1932 in eine christliche Familie libanesischer Herkunft in Alexandria geboren wurde, hatte bereits eine solide Set-Erfahrung, als er 1962 vom Produzenten Sam Spiegel für Leans Opus unter Vertrag genommen wurde. In Ägypten hatte er in mehreren Spielfilmen gedreht, unter anderem in Youssef Chahines «Ciel d'Enfer» (1954), einem Melodrama mit hitchco*ckschem Einschlag, das den Konflikt zwischen einem positivistischen Agronomen und einem Zuckerpflanzer illustrierte. Wahrgenommen wurde er jedoch zunächst als Ehemann von Faten Hamama, einer Schauspielerin, die als eigentliche Ikone des ägyptischen Kinos galt. Nach seiner Oscar-Nominierung (in der Kategorie Bester Nebendarsteller) für sein Spiel in «Lawrence of Arabia» wurde Sharifs Name indes auch in der westlichen Hemisphäre öfters zitiert. Definitiv zu Weltruhm gelangte er 1965 mit David Leans Adaptation von Boris Pasternaks «Doktor Schiwago», die zu einem der grössten Erfolge der Filmgeschichte werden sollte.

Bestimmt hatte diese in jeder Hinsicht exzessive Produktion Sharif sämtliche Tore geöffnet; ebenso sicher kann man die Vermutung hegen, dass sich der Schauspieler nie vollständig aus dem Schatten dieses Monuments lösen konnte. Wie in Trance durchschreitet Sharifs Juri Schiwago die vor- und nachrevolutionären Wirren Russlands: Zwischen seiner Frau und seiner Geliebten hin- und her gerissen, die Ethik des Mediziners der Barbarei der Zeit entgegensetzend, erscheint er gleichsam entrückt, als ob er die blutigen Geschehnisse um sich nur in der Position des Zeitzeugen, und nicht als Betroffener wahrnehmen würde.

Diese stets die Distanz wahrende Haltung der Figur wurde von Leans präziser Regievorgabe zweifellos vorgezeichnet: unzählig sind die Szenen, in denen Schiwago die Wirklichkeit machtlos durch Luken, Türen und von Eisblumen und Schnee bedeckten Fenstern zu dechiffrieren versucht. In der Folge seiner Karriere schien sich Sharif dieses introvertierte Spiel nachgerade angeeignet zu haben: In William Wylers Verfilmung von Barbra Streisands Musical «Funny Girl» spielt er den Ehemann einer Broadway-Sängerin, der seinen Ruin am Spieltisch mit kaum merkbarer Emotion wegsteckt; bei Blake Edwards (in «The Tamarind Seed») gibt er einen nonchalanten sowjetischen Militärattaché.

Sein Status als globaler Star erlaubte es ihm, jede Rolle zu spielen, die auch nur vage mit seinen mediterranen (und auch im Alter stets ausserordentlich gutaussehenden) Zügen vereinbar war: Unter der Regie von Richard Fleischer verkörperte er Che Guevara, während John Frankenheimer mit ihm Joseph Kessels Afghanistanroman «The Horsem*n» verfilmte. In Andrej Wajdas Adaptation von Dostojewskis «Dämonen» übernahm er die Figur des Hauslehrers Werchowenski. Für seine Darbietung in François Dupeyrons «Monsieur Ibrahim et les fleurs du Coran» – und wohl auch stellvertretend für seine Laufbahn – wurde er 2004 einem César des besten Hauptdarstellers ausgezeichnet.

Allmählicher Rückzug

Wie viele der von ihm verkörperten Figuren schien sich auch Sharif am Ende seiner Karriere gewahr zu werden, dass die Welt, die ihm seinen Ruhm beschert hatte, am Verschwinden war. Nach seinem allmählichen Rückzug aus dem Filmgeschäft hatte sich der Schauspieler vermehrt in die lärm- und lichtgedämpfte Welt der Hotellobbys und Spielkasinos zurückgezogen; als leidenschaftlicher – und mitunter selbst professioneller – Bridge-Spieler hielt er in der «Chicago Tribune» zudem jahrelang eine Bridge-Kolumne. Den stets klaren Blick auf sein Heimatland schien er jedoch trotz seiner Privilegien nie verloren zu haben. Anfangs 2012 meinte er in einem Interview mit der «Zeit» zur Islamisierung Ägyptens: «Wenn ich zwanzig Jahre alt wäre, dann würde ich mir wegen der Salafisten Sorgen machen. Aber ich bin alt. Ich werde bald sterben. Ich warte einfach auf das, was passiert. Heute, morgen, in den nächsten fünf Jahren. Ich warte einfach.»

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